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Buchrezension: Horsemanship Training

Die Autorin Kerstin Diacont arbeitet bereits seit mehr als 25 Jahren mit einem ganzheitlichen Ausbildungskonzept von Pferd und Reiter. Dabei greift sie auf ihr umfassendes und vor allem reitweisenübergreifendes Wissen zurück. Besonders bekannt ist auch ihre 3 teilige Videoserie zum Thema “Reiten lernen”.  In ihrem neuesten Buch: Horsemanship-Training (Die Reitschule) vor geht es vor allem um eine feine und aufmerksame Kommunikation zwischen Mensch und Pferd. Die vorgestellten Übungen aus dem Bereich des Natural Horsemanship (NHS) stellen dabei die Basis für ein erfolgreiches Pferdetraining, vom Boden und Sattel aus, dar.


Das handliche Taschenbuch mit Softcover-Einband gehört zur Müller Rüschlikon Serie: Die Reitschule und umfasst 94 Seiten. Dabei ist es ansprechend bebildert und sehr übersichtlich in 4 zentrale Kapitel untergliedert. Im 1. Kapitel werden einige Grundlagen zum Verständnis des NHS-Prinzips und die damit verbundene Denkweise erläutert. Anschließend wird die notwendige Ausrüstung betrachtet. Im 3. Kapitel geht die Autorin nochmal ausführlich auf die unterschiedlichen Lernschwerpunkte getrennt zwischen Mensch und Pferd ein. Das letze Kapitel stellt die konkreten Übungen vor und macht den größten Teil es Buches (ca 56 Seiten) aus.

Kapitel 1: Grundsätzliches

Zunächst erläutert die Autorin einige Aspekte zum Grundverständnis der Denkweise des Horsemanship. Dabei wird vor allem die zentrale Rolle der erfolgreichen Kommunikation erläutert.

“Gute Kommunikation bedeutet auch nicht, dass einer immer nur zuhört (empfängt) und der andere immer nur redet (sendet). Stattdessen ist wechselseitiges Zuhören gefragt, dazu Konzentration, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit sowie gegenseitiger Respekt.” (Diacont, 2016, S. 5)

Viele Probleme in der Ausbildung von Mensch und Pferd resultieren aus kommunikativen Missverständnissen.

“Wie schon im zwischenmenschlichen Bereich kommt es zu Missverständnissen und Unstimmigkeiten, die im Allgemeinen dem Pferd als Ungehorsam oder Aufsässigkeit ausgelegt werden. Oft sind es jedoch nur unklare Signale oder inkonsequentes Verhalten des Menschen, die dazu führen, dass das Pferd das Vertrauen in die >>Führungskompetenz<< des Reiters verliert und selbst entscheidet, was zu tun ist.” (Diacont, 2016, S. 5)

Kerstin Diacont erklärt in diesem Kapitel zudem ausführlich, wie wichtig die mentale Ebene bei der Arbeit mit Pferden ist. Gedanken oder eine negative Grundeinstellung können bereits falsche Signale an das Pferd senden. So können sich beispielsweise Gefühle wie Angst direkt auf das Pferd übertragen. Die regelmäßige Arbeit vom Boden aus schafft somit eine feste Basis der Kommunikation.

” Mensch und Pferd finden ohne Stress eine gemeinsame Basis der Verständigung und lernen die jeweilige Sprache des anderen besser kennen.” (Diacont, 2016, S. 6)

Sehr lobenswert ist die allgemein positive Grundeinstellung des gesamten Buches. Das Pferd wird hier keinesfalls als untergeordnet angesehen, das den “Befehlen” folgen muss. Es wird hier vielmehr ein Weg aufgezeigt, der durch Hartnäckigkeit, Geduld und Verständnis trotzdem zum Ziel führt. Mein absolutes Lieblingszitat in diesem Zusammenhang ist:

“Eine strenge Erziehung bedeutet nun auf keinen Fall Brutalität gegenüber dem Pferd, sondern immer nur ruhige, beherrschte Unnachgibigkeit, eine Art von lächelnder Sturheit seitens des Menschen nach dem Motto: >>Lass dir Zeit, soviel du willst – am Ende machst du doch das, was du sollst.<<” (Diacont, 2016, S. 17).

Sehr ausführlich wird die Thematik des Strafens behandelt. Es werden verschiedene Stufen von der Ermahnung bis zu Maßregelung vorgestellt. Wichtig hierbei auch die Emotionslosigkeit (s. 17) und das antrainieren der richtigen Reflexe (S. 18) um schnell zu reagieren. Sehr schön finde ich auch das Zitat:

“Ein Pferd kann man nicht antiautoritär erziehen – das entspricht nicht seiner Natur.” (Diacont, 2016, S. 19)

Dabei geht es keinesfalls darum, stehts und ständig Strafen anzuwenden. Die Autorin weist lediglich daraufhin, dass man dem Pferd keinen Gefallen tut, indem man rücksichtsloses Verhalten, welcher Art auch immer, durchgehen lässt. Vielmehr fühlt sich ein Pferd dann sicher, wenn ihm faire und vor allem kontinuierliche Grenzen gesetzt werden. Nur dann kann es dem Menschen voll und ganz Vertrauen. Das gelingt jedoch nur, wenn im richtigen Moment auch mal gemaßregelt wird – denn ein Pferd, dass Sie nicht kontrollieren können – wird zu einer Gefahr für Sie und Ihre Umwelt.

Kapitel 2: Ausrüstung

In diesem Kapitel wird das Rad natürlich nicht neu erfunden. Empfohlen wird für die Arbeit nach NHS ein Knotenhalfter, ein Führstrick (3,5 m), wahlweise ein Sidepull oder ein Kappzaum,  und eine Longe. Die Autorin geht hier sowohl kurz auf den korrekten Sitz, als auch auf die Wirkungsweise ein. Allerdings ist dieser Abschnitt wirklich sehr kurz. Wer sich tiefer damit beschäftigen möchte, sollte sich weitergehend über die jeweilige Zäumung informieren, Das kann vor allem beim Knotenhalfter notwendig sein, um den korrekten Sitz richtig einzuschätzen.

Kapitel 3: Was Mensch und Pferd lernen sollen

Ein sehr schönes Kapitel, dass unterteilt in Mensch und Pferd die jeweiligen Trainingsschwerpunkte erklärt. Dabei ist vor allem der 1. Teil interessant, bei dem es um die notwendigen Qualifikationen des Menschen geht. Es werden sowohl mentale Fähigkeiten, als auch körperliche vorgestellt. Führungsqualitäten, Körperbeherrschung, sowie Kenntnisse “über Anatomie, Psychologie und Kommunikationsmechanismen bei Mensch und Pferd” (Diacont, 2016, S. 33) sind hierbei die wichtigen Stichworte.

Kapitel 4: Übungsteil

Dieses Kapitel startet zunächst mit einigen wichtigen Grundlagen im Bezug auf die eigene Körperbeherrschung. Verdeutlicht werden diese durch Trockenübungen mit anderen Menschen.

“Üben Sie >>Führen und Folgen<< mit einem Partner; führen Sie selbst und lassen Sie sich führen – mit Körperkontakt (direkt und über eine simulierte Zügelverbindung mit einem Seil) un ohne, nur mit Augenkontakt” (Diacont, 2016, S. 46)

Anschließend werden die Grundlagen nach Moto “wer bewegt wen erläutert. Dabei hat das Pferd 6 Möglichkeiten sich zu bewegen:

“nach vorne, nach hinten, zur Seite (rechts oder links), nach oben, nach unten” (Diacont, 2016, S. 54)

Anschließend werden verschiedenste Übungen vorgestellt, die es dem Mensch ermöglichen das Pferd punktgenau zu koordinieren und einzelne Körperpartien in die 6 möglichen Richtungen zu bewegen. Der nachfolgende Abschnitt Longenarbeit leitet das Thema Gymnastizierung ein. Jetzt geht es nicht mehr nur darum, das Pferd zu bewegen, sondern wie es sich bewegt. Es werden Übungen vorgestellt, die eine gesundheitserhaltende Wirkung auf den Körper des Pferdes haben.

Im Anschluss werden die Übungen noch durch Trail und Hindernisarbeit aufgelockert. Der Abschnitt zum Thema Verladen stellt einfallsreiche Übungen vor, die eines der häufigsten Probleme zu bewältigen helfen.

Fazit

Insgesamt handelt es sich hier um ein sehr schönes und leichtverständliches Einführungsbuch in die Thematik des Natural Horsemanship. Es werden sehr wertvolle Denkansätze und leichte Übungen für den Beginn der Arbeit vorgestellt. Wer allerdings bereits Kenntnisse auf dem Gebiet hat, wird in diesem Buch wenig Neues finden. Die vorgestellten Übungen sind gut erklärt, allerdings gehen sie nicht wirklich in die Tiefe, vor allem was den Bereich Gymnastizierung oder auch die Ausrüstung angeht. Für Einsteiger, Umsteiger oder Neuinteressierte ist dieses Buch jedoch auf jeden Fall zu empfehlen. Es leicht verständlich und beinhaltet viele schöne Denkansätze, die die Einstellung des Lesern nachhaltig beeinflussen werden. Dabei gefiel mir am Meisten der Abschnitt zur Thematik der Autorität bei der Erziehung.

 

Infos zum Buch
Originaltitel:Horsemanship Training
Autor:Kerstin Diacont
Verlag: Müller Rüschlikon Verlag
Ort: Stuttgart
Jahr:2016
ISBN: 978-3-275-02058-4

Umdenken im Pferdetraining – Strategie zur Lösung eines Problems

Z. ist ein Pferd, dass sehr intelligent ist. Er lernt sehr schnell. Er will gefallen. Er setzt das Gelernte häufig schon fast etwas hektisch um.

Wenn er etwas nicht möchte, so wird er schnell itzig (sächsisch für bockig 🙂 ). Das ist der absolut richtige Begriff für seine Reaktion. Er ist kein bösartiges Pferd – so etwas gibt es meiner Meinung nach nicht. Pferde, die unerwünschtes Verhalten zeigen, sind meiner Meinung nach entweder überfordert, unterfordert, verängstigt oder itzig. Itzig ist in dem Fall keine vorüberlegte Reaktion, sondern ein natürliches Abwehrverhalten des Pferdes gegenüber Handlungen, die es nicht möchte. Die Gründe für das “nicht möchten” können natürlich variieren. So kann Angst oder Überforderung ein Grund für itziges Verhalten sein. In Z. Fall kommt hinzu, dass er sehr jung und unerfahren ist. Er ist in einer Phase seiner Ausbildung, in der er lernt, wo sein Platz in der Welt ist. Das wirkt sich auf der Koppel aus – in Rangfolge-Konflikten, aber auch bei der Ausbildung aus. Er ist stets gutmütig und lernt gern, aber gelegentlich stellt er die Aufgabe auch in Frage. Das zeigt sich bereits sehr früh durch kleine Abwehrreaktionen, die nicht weiter dramatisch sind. So reagiert er beispielsweise auf leichten Zug am rechten Zügel mit einem Gegenzug in die andere Richtung. Das lässt sich sehr leicht durch touchieren der linken Schulter mit der Gerte lösen. Den Zug zu verstärken bringt absolut nichts, denn schlussendlich ist er der Stärkere.

Nun kommen wir aber zu dem Punkt, wo es wirklich kniffelig wird: Ich spreche von der Situation, in der er eine Lektion partout nicht ausführen möchte. Das muss nichts Schweres oder Neues sein. Ganz im Gegenteil, neue Lektionen sind für ihn immer spannend und interessant. Es handelt sich eher um Situationen, die so schon immer funktioniert haben, jedoch in diesem Moment einfach nicht gewollt sind. Natürlich handelt es sich hierbei um eine Art des Austestens. Er schmiedet keine Pläne, er will mich auch nicht ärgern. An solche menschlichen Eigenschaften glaube ich nicht. Nein es ist vielmehr ein kleines Rangspiel, dass er auch auf der Koppel regelmäßig auslebt. Will er beispielsweise aus der Heuraufe neben der Chefin fressen, so tastet er sich Stück für Stück heran und wartet auf ihre Reaktion. Und genau so ist es beim Reiten. Stück für Stück wird er nachlässiger und wartet auf meine Reaktion. Ich bin kein Freund vom gewaltvollen Durchsetzen. Natürlich wäre das das ein Weg gleich zu Beginn mit voller Härte auf ihn einzuwirken. Aber das möchte ich nicht. Das ist nicht die Art von Beziehung oder Ausbildung, die ich umsetzen möchte.

Eine Regeln aus dem NHS besagt, dass wenn das Pferd unerwünschtes Verhalten zeigt, so soll man dieses Verhalten solange herauskitzeln, bis es sich zum positiven Wendet (das kann bereits die kleinste positive Reaktion sein) und dann hört man sofort auf und gibt dem Pferd einen Moment Ruhe zur Belohnung.

Diesen Grundlegenden Ansatz möchte ich auf meine eigene Art umsetzen. Der Plan ist nun Folgender: Wenn Z. sich einer Lektion entzieht, so muss ich rechtzeitig und gleich zu Beginn daran arbeiten, dass er diese Lektion und wenn es nur ein Bruchteil davon ist – ausführt. Zunächst möchte ich jedoch folgendes tun. Ich gehe zunächst einen Schritt zurück und übe etwas, was er ganz sicher beherrscht und auch gerne umsetzt. Dann kehre ich zu meiner gewünschten Lektion zurück und führe diese jedoch nur zur Hälfte aus. Wenn er das gut macht, so gönne ich ihm eine Pause und mache im Anschluss wieder leichte Übungen. Dann kehre ich erneut zur schwierigen Lektion zurück und führe diese zu dreiviertel aus. usw. Solange bis wir 100% schaffen. Zeigt er Abwehrverhalten, so kitzel ich jeweils 1% mehr heraus, als er bereit ist zu geben und breche dann ab. Das Schwierige dabei ist, jeweils die richtigen Momente abzupassen, in denen ich aufhöre. Ich muss auf die kleinsten Signale achten, die er mir gibt. Zum Glück kenne ich ihn inzwischen so gut, dass ich genau spüre, wann er spannig wird und wann er entspannt.

Nochmal kurz die Erläuterung an einem Beispiel: Neulich wollte er bei der Trabarbeit auf der rechten Hand über die innere rechte Schulter abwenden. Ihm fällt es sehr schwer auf der rechten Hand zu traben, da er Linkshänder ist. Trotzdem müssen wir auch die rechte Hand üben, ich blieb also dran. Ich löste das Problem durch starken Schenkelkontakt innen und touchierte gleichzeitig die innere Schulter mit der Gerte, in dem Moment, als er anfing sich zu stark nach innen zu Biegen. Allerdings führte das nur dazu, dass er gegen hielt und immer schneller wurde. Bis er schließlich ein bisher komplett neues Verhalten zeigte. Er beginn zu bocken und zwar so stark, dass ich Mühe hatte, mich im Sattel zu halten. Diese Reaktion zwang mich zum Umdenken. Deshalb nun der Plan nach meiner neuen Strategie. Trabarbeit auf der rechten Hand jeweils nur für ein paar Trabsprünge. Schrittweise erhöhen. Bei Abwehr noch einen Schritt mehr fordern und dann aufhören und eine andere Übung machen. Setzt er die gewünschte Schrittzahl gut um, dann gibt es eine Ruhepause und wir wechseln wieder zu einer anderen Übung. Insgesamt sollte ich mir vorher genau überlegen, wie wieder Trabsprünge ich maximal in dieser Übungseinheit fordere. Damit wir ein gerechtes Ende finden und nicht unendlich weiter erhöhen. Zusätzlich üben wir natürlich auch vom Boden, damit er sein Problem auf der rechten Hand muskulär überwinden kann.

Interview mit NHS Trainerin und Autorin Jenny Wild

Jenny Wild ist Natural Horsemanship Trainerin mit Leib und Seele. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Peer Claßen gibt Sie Kurse und legt dabei Fokus auf eine tiefe Vertrauensbasis und eine echte Freundschaft zwischen Pferd und Mensch.

Sie hat bereits zwei Bücher geschrieben: Von Pferden lernen, sich selbst zu verstehen (zur Rezension) und das Übungsbuch Natural Horsemanship (zur Rezension). Ich habe die Chance genutzt und ihr ein paar Fragen zu ihren Büchern und ihrem Leben mit den Pferden gestellt.


Linda: Hallo Jenny. Vielen Dank, dass du dir etwas Zeit nimmst, um mir und den Lesern ein paar Fragen zu beantworten. Wie bist du eigentlich zum Natural Horsemanship gekommen und gab es einen Trainer oder Mentor, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Jenny: Hallo Linda, erst einmal ganz lieben Dank, dass du mich eingeladen hast, dieses Interview mit dir zu führen! Deine interessanten Fragen haben mich sehr motiviert!

Mit dem Natural Horsemanship ging es mir, wie den meisten anderen auch, mein damaliges Pferd Paul ging nicht auf den Pferdeanhänger und so brauchte ich eine Lösung. Meine Freundin hatte das gleiche Problem und so kamen wir durch glückliche Umstände an das Heimstudium für den Level 1 von Parelli und haben in ziemlich kurzer Zeit unsere Level Abnahme per DVD bestanden. Das Beeindruckende für mich war die Erkenntnis, dass ich natürlich nicht nur ein Verladeproblem mit meinem Paul, sondern noch sehr viele andere, teilweise ziemlich gravierende Probleme und Wissenslücken hatte. Fasziniert hat mich aber vor allem, dass ich auf einmal eine Möglichkeit hatte, viele Probleme autodidaktisch zu lösen. Es war eine der besten Errungenschaften überhaupt, dass es auf einmal nicht mehr nur um Probleme, sondern vor allem um tolle Ziele ging, die zu erreichen ich  mir kurz vorher noch gar nicht hätte träumen lassen. Natürlich reichte uns das Heimstudium nicht aus, und so besuchten wir unzählige Kurse bei vielen namhaften Horseman, angefangen mit Birger Gieseke, und im Laufe der Jahre bei Ralf Heil, Honza Blaha, Silke Vallentin, Karen Rohlf, Ian Benson, Alfonso Aguilar, Thomas Günther, Buck Brannaman, Jean- FranciosPignon und noch einigen anderen! In Erinnerung geblieben sind sie mir alle und ich weiß, dass mein heutiges Wissen eine Zusammensetzung ist aus vielem, was ich bei diesen Menschen gelernt habe. Besonders beeindruckt und beeinflusst hat mich aber auf jeden Fall Jean- FranciosPignon! Er hat mich und Peer so tief mit in die Welt der Pferde genommen, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Ich bin so froh, dass wir die Möglichkeit hatten 5 Tage seiner Arbeit beizuwohnen – auf 2 Kursen und einem tollen Demotag!


Linda: In deinem Buch „Übungen Natural Horsemanship“ beschreibst du, dass es drei Arten von NEIN-Reaktionen seitens des Pferdes gibt. Woher weiß ich, welche davon zutrifft?

Jenny: Diese Frage ist nicht ganz so leicht zu beantworten, denn zu erkennen, welches NEIN mein Pferd mir gerade sagt, verlangt schon eine Menge Beobachtungsgabe, Erfahrung und Gefühl. Grundsätzlich ist es erst einmal wichtig, überhaupt zu erkennen, dass das Pferd mir NEIN sagt, denn dies ist eine Aussage, die ich unbedingt ernst und wichtig nehmen sollte, denn sie impliziert, dass etwas für mein Pferd nicht in Ordnung ist. Man hört so häufig Aussagen wie: „Er hat mal wieder keinen Bock!“ oder „Er stellt sich mal wieder mal an!“ In noch heftigeren Fällen sieht man Menschen, die mit Gerten, Sporen und Stimme auf ihr Pferd „einwirken“, um es zu irgendetwas oder irgendwohin zu bewegen, ohne auch nur ansatzweise darüber nachzudenken, dass es einen Grund geben könnte, dass das Pferd den „Wunsch“, besser wohl den Willen des Reiters, nicht einfach so umsetzt.

Ich kann immer nur wieder betonen, wie wichtig es ist, sein Pferd immer genau zu beobachten und zu lernen sein Pferd richtig zu lesen! Es gibt kaum etwas was so unfair ist, wie Fehlinterpretationen, die selten zum Ziel aber häufig zu weiteren Problemen führen. Sowohl in unserem neuen Übungsbuch, aber vor allem auch in unserem Kurs „Pferde verstehen und motivieren“ beschäftigen wir uns sehr ausführlich mit dem Thema „Pferde lesen“! Es macht so einen unglaublichen Unterschied, auf einmal in der Lage zu sein, die kleinen Zeichen des Pferdes zu lesen und eine Bedeutung dahinter zu erkennen! Kleine Zeichen werden auf einmal wichtig und schaffen riesige, positive Veränderungen. Hier geht es den Pferden natürlich genau wie uns Menschen. Man fühlt sich am besten, wenn man verstanden wird.

Zum besseren Verständnis gehe ich gerne noch mal etwas genauer auf die 3 NEINS ein:

NEIN, das kann ich nicht! Hierfür kann es verschiedene Gründe geben: Wenn das Pferd körperliche Probleme hat, die ihm Schmerzen bereiten, wird es viele vom Menschen gestellte Aufgaben nicht entspannt und motiviert ausführen können, weil es einfach körperlich dazu nicht in der Lage ist. Pferde sagen uns immer die Wahrheit! Wenn unser Pferd sich also weigert bestimmte Dinge zu tun, die es entweder in der Vergangenheit schon geschafft hat, oder die nicht besonders schwierig sind, sollte ich erst einmal prüfen, ob körperlich alles in Ordnung ist. Natürlich können aber auch seelische Probleme ein Grund für diese Art von Nein sein. Ein gutes Beispiel ist sicherlich immer der Anhänger. Hier sagen die Pferde selten NEIN, weil ihnen das Verladen Schmerzen bereitet, aber vielleicht verbinden sie Schmerz, ganz sicher aber Ängste mit dem Hänger! Eine weitere Variante für dieses NEIN könnte sein, dass ich mein Pferd schlichtweg überfordere: Wenn ich meine Amy, die gerade so über eine Tonne springen kann, fragen würde, ob sie über einen 1,60 m Oxer springen würde, wäre ihre Antwort garantiert: NEIN, das kann ich nicht! Und wie jedem klar sein dürfte, ist dies nicht böse gemeint, sondern ganz schlicht und einfach ein Fakt. Ihr könnt mich auch gerne mal fragen, ob ich einen Spagat kann…

NEIN, das weiß ich nicht! Dieses NEIN sagen Pferde sehr häufig, wenn sie mental und emotional überfordert sind oder der Mensch sich einfach zu undeutlich ausdrückt. „Andere Pferde machen das doch auch!“, hilft hier sicherlich genauso wenig weiter, wie: „Ich will aber, dass du das jetzt tust!“  Wir sehen leider so häufig Menschen, die ihren Pferden Aufgaben stellen, bei denen die Hilfengebung nach außen hin für Peer und mich schon überhaupt nicht zu erkennen ist. Nicht weil die Menschen so gut sind und die Hilfe schon fast unsichtbar ist, sondern weil die Frage so unlogisch und häufig sogar einfach falsch ist, dass eine richtige Antwort nur reiner Zufall sein kann. Ich persönlich kann jedem nur raten, sehr gut zu werden in seiner Körpersprache und in seinem Körpergefühl. Wenn das Pferd etwas nicht versteht, liegt es nicht am Pferd, sondern immer an uns! Im Übrigen macht es auch extrem viel Spaß seinem Pferd mit viel Gefühl und Empathie zu erklären, was man eigentlich von ihm möchte. Es wird nicht sehr lange dauern, bis aus dieser Art von NEIN ein motiviertes JA wird!

NEIN, ich mache es nicht! Auch dieses NEIN hat vorrangig etwas mit uns zu tun, weil das Pferd uns schlicht und ergreifend nicht glaubt! Jean- FranciosPignon hat immer gesagt, dass Pferdeuns ständig EINE Frage stellen: „Bist du wirklich stark?“ was so viel heißt, wie.„Kann ich mich wirklich auf dich verlassen?“ Dies ist die Natur des Pferdes und es bedeutet für dieses quasi wirklich sein Todesurteil, wenn es sich in inkompetente Hände begibt (zumindest aus Pferdesicht gesehen – für die Menschen, die nicht an sich arbeiten, kann es leider auch schnell mal umgekehrt sein). Wenn das Pferd also in solchen Fällen das Handeln verweigert, liegt es mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass es dem Menschen einfach nicht glaubt und ihn nicht genügend wahrnimmt. Es respektiert seinen Menschen also nicht (Respekt = Wahrnehmung). Das Pferd sagt nicht: „Ich bin besser als du!“, oder: „Ich bin mir so sicher!“, sondern ganz im Gegenteil sagt es: „Du bist nicht gut genug, um mir Sicherheit zu geben und ohne einen starken Partner bin ich auf mich allein gestellt, was mir Angst macht!“ Die Energie, die Menschen in solchen Situationen aufbringen, wird das Pferd in der Regel zu Flucht- oder Angriffsreaktionen veranlassen. Wie auch zuvor kann ich nur jedem raten hier viel an sich zu arbeiten und niemals dem Pferd die Schuld zu geben!


Linda: Wenn ich meinem Pferd eine Frage stelle, dann soll ich diese stets bis zu Ende stellen, aber wie lang darf ich mich tatsächlich mit einer Übung befassen und wann sollte ich besser abbrechen, um mein Pferd nicht zu überfordern?

Jenny Wild 3

Jenny bei der Arbeit

Jenny: Hier kann ich dir erst einmal nur die Standardantwort geben: „Es kommt drauf an!“ Es gibt meistens Extremata unter den Pferdeleuten. Die einen sind zu schnell sauer und werden wütend auf ihr Pferd, wenn es nicht so reagiert, wie sie es gerne hätten, die anderen haben Angst ihrem Pferd weh zu tun, wenn sie konsequent sind. Wie bei den meisten Extremfällen ist beides weder sinnvoll noch gerecht für das Pferd. Die Menschen, die ohne vorher nett und freundlich mit viel Gefühl ihre Frage zu stellen, gleich viel Druck machen, werden ihrem Pferd sicher Angst machen und es im schlimmsten Fall irgendwann mental, emotional und physisch abstumpfen. Die Menschen, die Angst haben konsequent zu sein und Fragen tatsächlich zu Ende zu stellen, werden in der Summe leider viel mehr Energie aufwenden und immer schlechtere Antworten bekommen, weil sie ihr Pferd schlicht und ergreifend desensibilisieren. „Das was ich sage, hat eigentlich keine Bedeutung!“ Es strahlt für das Pferd Unsicherheit aus, weil der Mensch sich nicht sicher ist, ob es richtig oder falsch ist, was er gerade tut. Die Desensibilisierung kann leider sogar dazu führen, dass Pferde beginnen Schmerzen zu ertragen. Die fehlende Konsequenz lässt sie ausharren. Das Resultat ist dann, dass die Menschen, die Angst haben ihrem Pferde weh zu tun, ihm viel mehr wehtun! Und hier kann ich nur wieder auf das Zitat von Jean- FranciosPignon hinweisen, in welchem das Pferd für seine eigene Sicherheit nach einem starken Partner sucht, der weiß, was er tut, ohne sauer zu werden! Die Grunddevise sollte immer lauten: freundlich aber bestimmt!

Wenn ich mit meinem Pferd in eine Situation gerate, wo z. B. äußere Einflüsse oder der emotionale Zustand des Pferdes die Aufgabe, in welcher wir gerade stecken, unmöglich macht, ist es überhaupt kein Problem, diese vorzeitig zu beenden und sich viel besser um die gemeinsame Sicherheit zu kümmern. Das Pferd wird sich nicht merken: „Ach so, ich brauche nur Todesangst zu bekommen und schon hört mein Mensch auf!“ Aber es wird wissen, dass der Mensch die Situation gut eingeschätzt hat, und dem Pferd im Endeffekt helfen konnte. Das ist wichtiger als jede Aufgabe und Übung.

Ein anderes Problem kann aber auch sein, dass der Mensch das Gefühl hat, er müsse Aufgaben so lange mit dem Pferd üben, bis diese perfekt sitzen. Das frustriert beide Seiten und wird das Pferd irgendwann dazu zwingen die Kompetenz des Menschen in Frage zu stellen. Jeder kleine Versuch in die richtige Richtung sollte belohnt werden. Je kürzer die Einheiten und je größer die Bestätigung, umso schneller wird der Lerneffekt eintreten. Pferde lernen so viel schneller als wir denken und meistens wissen sie beim nächsten Mal ganz genau, was wir von Ihnen wollen. Es sollte jedem Menschen bewusst sein, dass Pferde IMMER lernen! Wenn wir also inkonsequent und inkompetent in unseren Fragen sind, wird das Pferd in allerkürzester Zeit wissen, was es von uns zu halten hat und sich dementsprechend verhalten. Aber hier geht es uns Menschen ja ganz genauso…


Linda: Wie viel Zeit genau sollte ich meinem Pferd zum Rückzug als Belohnung geben? Und muss es während dieser Zeit mit der Aufmerksamkeit bei mir sein, oder darf es sich beispielsweise abwenden und Fressen?

Jenny: Was denkst du, wie meine Antwort lautet? „Es kommt drauf an!“ Grundsätzlich vielleicht: Je schwerer es dem Pferd gefallen ist die Lösung zu finden und je länger es gedauert hat, umso länger sollte auch die Belohnung sein! Jeder kann nur für sein Pferd herausfinden, wie viel Rückzug sinnvoll und vor allem notwendig ist. Meine Devise ist immer, dass es nie zu viel Rückzug geben kann! Er bringt uns und das Pferd aus der Situation und der Aufgabe heraus, verhilft uns zum Entspannen und zum Nachdenken. Ein kurzer Rückzug könnte z. B. sein, wenn man einfach mal kurz von der Aufgabe weggeht, sofort wieder zurück kehrt und dann gleich erneut fragt. Ein größerer Rückzug kann aber gut auch einige Minuten dauern. Insgesamt spielt auch die Persönlichkeit des Pferdes eine große Rolle. Introvertierte Pferde brauchen einen viel größeren und längeren Rückzug als extrovertierte Pferde. Im besten Fall sollten auch wir Menschen uns von diesen Pferden zurück ziehen, damit sie in der Lage sind sich zu entspannen und über die Aufgabe nachzudenken. Bei extrovertierten Pferden kann der Rückzug bedeuten, dass es sich bewegen oder spielen darf. In der Regel fällt es diesen Pferden danach viel leichter, sich wieder auf die Aufgabe zu konzentrieren! Auch an dieser Stelle kann ich nur auf unseren Kurs „Pferde verstehen und motivieren“ verweisen, in welchem diese Thematik, gerade auch was intro- und extrovertierte Pferde angeht, nur wärmstens empfehlen. Der Rückzug sollte auf jeden Fall so lange dauern, bis das Pferd ein positives Zeichen von Entspannung oder anderer Veränderung zeigt, dann kann ich weiter machen!


Linda: Eine Frage, die mir persönlich sehr am Herzen liegt, wie schaffst du es in schwierigen Situationen mit dem Pferd, nicht emotional zu werden und dabei nicht überzureagieren?

Jenny: Ich freue mich, dass du diese Fragen stellst, weil ich mir sicher bin, dass diese Fähigkeit eine der aller schwierigsten Dinge darstellt, die wir Menschen überhaupt lernen können! Und ehrlich gesagt habe ich auch bis jetzt nur einen Menschen gesehen, der es hinbekommt!

Als mir klar geworden ist, dass es für Menschen nichts einfacheres gibt, als Pferden Angst zu machen und es auf der anderen Seite kaum etwas schwierigeres gibt, als zerstörtes Vertrauen wieder aufzubauen, habe ich mir noch mehr Mühe gegeben, nicht emotional zu werden. Was mir auf jeden Fall sehr viel hilft ist der Grundtenor meines ersten Buches „Von Pferden lernen sich selbst zu verstehen“, indem ich darüber nachdenke, was es für mich bedeutet, wenn jemand mein Vertrauen missbraucht hat, und wie lange es dauert, bis ich diesem Menschen wieder wirklich vertrauen kann!

Wenn ich merke, dass ich es nicht mehr schaffe, geheich, wenn möglich, so lange woanders hin und lasse mein Pferd in Ruhe, bis ich meine Emotionen wieder im Griff habe! Oder ich gebe uns beiden eine entsprechende Pause, wenn ich an einem Ort bin, wo ich mich nicht von meinem Pferd und meinen Gefühlen zurückziehen kann. Ich weiß natürlich, dass es immer so viel leichter gesagt, als getan ist, und Peer und mir passiert es natürlich auch andauernd, dass wir merken, wie die Emotionen Überhand nehmen und man die Situation bzw. sich selbst, nicht mehr so unter Kontrolle hat, wie man es gerne hätte. Das ist nun einmal menschliches Verhalten. Aber genau dieses Verhalten führt ja auch in allen anderen Beziehungen regelmäßig zu Streit und schlechten Gefühlen! Hier empfinde ich es als extrem wichtig zu merken, dass man unfair war und danach weiter an sich selbst arbeitet, um beim nächsten Mal besser zu reagieren. Niemand ist perfekt, wenn man aber stark genug ist eigene Fehler zu erkennen und etwas an sich zu ändern ist man auf einem guten Weg ein guter Pferdemensch zu werden!


Linda: Ich war von deinem ersten BuchVon Pferden lernen, sich selbst zu verstehen: Durch Selbsterkenntnis zu mehr Pferdeverständnis” (zur Rezensionebenfalls sehr begeistert. Dabei gefällt mir vor allem dein Umdenken, Pferde nicht in Menschenschemata rein zwängen zu wollen, sondern sich selbst stetig zu reflektieren und an die Pferdewelt anzupassen. Wie kamst du zu diesen Erkenntnissen und was hat dich dabei inspiriert?

Jenny: Man hört so oft, wie unterschiedlich Pferde und Menschen sind. Dies begründet sich daraus, dass Pferde Fluchttiere und wir Jäger und Sammler sind, also keine reinen Raubtiere, aber auch keine reinen Fluchttiere. Und genau hier liegt der Punkt. Dieser Unterschied begründet sich vor allem in der Tierordnung und den artspezifischen Merkmalen. Das Pferd ist jedoch nicht nur ein Fluchttier sondern auch ein Herdentier und somit genauso wie der Mensch ein gesellschaftliches Wesen, dass auf das Zusammensein mit der Gruppe angewiesen ist. Hieraus ergeben sich extrem viele Gemeinsamkeiten, die leider häufig gar nicht betrachtet werden. Während der letzten Jahre ist mir in unseren Kursen immer mehr klar geworden, dass wir nicht an den Pferden, sondern an uns selbst arbeiten müssen, und dass es für uns Menschen extrem viel leichter ist, sich in das Pferd hinein zu versetzen, wenn wir selbst versuchen zu fühlen, wie sich Angst, Unsicherheit, Hunger, Neugierde, Eifersucht, Zuneigung, etc. anfühlen. Dies sind nämlich Gefühle, die Pferde ebenso wie Menschen fühlen. Ich kann mir sehr viel besser vorstellen, was es für das Pferd bedeutet in den Pferdehänger zu steigen, wenn ich mir vorstelle, wie ich mich dabei fühlen würde, wenn mich drei Personen auf den 10 Meter Turm im Schwimmbad zwingen und dann runter schmeißen würden! Wahrscheinlich wäre ich beim nächsten Mal nicht entspannter, wenn diese Aufgabe käme und wahrscheinlich würde ich schon vermeiden überhaupt ins Schwimmbad zu gehen, wenn ich eben diese Leute und den 10 Meter Turm schon von Weitem sehen würde!

Mir hat es extrem geholfen mir vorzustellen, wie ich mich in entsprechenden Situationen fühlen würde und vor allem, was Pferd und Mensch helfen kann und so kam ich auf die Idee, dieses Buch zu schreiben.


Linda:  Noch eine letzte Frage, planst du oder ihr ein weiteres Buch?

Jenny: Peer schreibt schon seit einigen Jahren an seinem „ersten“ Buch. Im Moment findet er leider wenig Zeit daran weiter zu schreiben, aber ich bin mir sicher, wenn er es mal irgendwann fertig hat, wird es ein Buch sein, was es bisher so noch nicht gegeben hat.

Nach unserem Übungsbuch für die Grundlagen am Boden, wären natürlich noch mindestens 2 Bücher sinnvoll, über die weiterführenden Übungen und über die Grundlagen beim Reiten, aber da haben wir noch nichts Konkretes geplant! Jetzt ist erst einmal alles so spannend, wegen meines ersten Buches und vor allem wegen unseres gemeinsamen Übungsbuches, auf welches wir extrem stolz sind!

Deine Jenny

Buchrezension: Übungsbuch Natural Horsemanship von Jenny Wild und Peer Claßen

Jenny Wild und Peer Claßen, ein Natural Horsemanship Trainer Duo, das ihren Fokus auf eine tiefe Vertrauensbasis und eine echte Freundschaft zwischen Pferd und Mensch legen. In Ihrem “Übungsbuch Natural Horsemanship” erklären die beiden Schritt für Schritt einen sanften Einstieg in die Welt des Natural Horsemanship. Die Grundlage dafür bietet ein völlig neues Grundverständnis vom Partner Pferd und viele facettenreiche Übungen, die vor allem den Menschen schulen sollen, besser mit dem Pferd zu kommunizieren. Ergänzend zum Buch gibt es eine umfangreiche Videosammlung, die via QR-Code immer direkt zum jeweiligen Kapitel angeschaut werden kann.

Das Buch startet mit einem Vorwort von Markus Eschbach, der das Reiten mit dem Surfen vergleicht. Ein sehr schöner Vergleich, der zeigt, dass wenn man etwas so mächtiges wie eine Welle nicht beherrschen kann, man sich selbst anpassen muss, um auf ihr zu reiten.

Es folgt eine kleine Einführung zum Thema Pferd, Natural Horsemanship (NHS) und zum Umgang mit diesem Buch. Zu Beginn wird gleich klar, dass ein sehr starker Fokus auf dem Verständnis des Pferdes und dessen natürlichen Eigenschaften und Instinkten liegt. Auf Grundlage des vollkommen natürlichen Verhalten der Pferde, versucht das NHS nun eine Kommunikation zwischen Mensch und Pferd herzustellen, die genau diese Schwierigkeiten in unserer Menschenwelt überbrücken soll. Die im Buch vorgestellten Übungen, sollen dafür die Türen öffnen. Es stellt einerseits ein sehr umfangreiches Selbstlernsystem dar, andererseits weisen die Autoren ausdrücklich daraufhin, dass beim Umsetzen Flexibilität und Einfühlungsvermögen erforderlich sind. Denn der Umgang mit Pferden, so die Autoren, ist komplex und lässt sich nicht in Menschenschemata rein zwängen.

“Pferde sind von Natur aus skeptisch, klaustrophobisch und unsicher. Sie bekommen Panik und schauen erst dann, ob es nötig war. Deshalb scheiden sie eigentlich schon von vornherein für ein Leben mit Menschen in deren Lebensraum aus.” (S. 6).

Weiter geht’s mit der Grundausstattung, die für den Einstieg benötigt wird. Es werden die NHS typischen Hilfsmittel, ein Knotenhalfter, ein 4m langer Strick und ein Horsemanship-Stick benötigt. Anschließend wird das Aufhalftern und das Handling des Seils und des Sticks erklärt. Erfahrene Pferdehalter werden sich an dieser Stelle vielleicht ein wenig unterfordert fühlen, da das Aufhalftern in Ihren Augen keine sonderbar schwere Aufgabe darstellt. Allerdings erklären die Autoren sehr genau, dass bereits diese alltägliche Nebensächlichkeit viel Aufschluss über die Pferd-Mensch Beziehung geben. Reaktionen, wie Kopf wegziehen, sich groß machen, Weglaufen etc. bieten direkt eine Grundlage mit dem NHS Training zu beginnen, deshalb sollten auch die simpelsten Übungen im Buch, mit viel Aufmerksamkeit betrachtet und umgesetzt werden. Sehr gelungen sind die genauen Schritt für Schritt Durchführungsanleitungen, die durch viele Bilder ein genaues Gefühl vermitteln, wie es aussehen sollte. Zusätzlich kann sich der Leser, wie weiter oben bereits erwähnt, die vorgestellten Übungen via QR-Code als Video ansehen. Dafür möchte ich gern ein sehr großes Lob aussprechen, denn aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die Umsetzung allein aus einem Buch, sehr schwierig ist. Videomaterial prägt man sich zudem viel besser ein.

“Wenn Pferdebedürfnisse und menschliche Wunschbilder aufeinander treffen, reagieren beide Seiten in der Regel über: Es entsteht zu viel Forderung auf der einen Seite und zu viel Gegenwehr auf der anderen. Konfrontation und Frust sind die Folge.” (S.27)

Weiter geht es im nächsten Kapitel mit dem ABC der Pferdekommunikation. Es werden im folgenden Abschnitt drei Basis-Bausteine erläutert, welche die Grundlage einer besseren und vor allem sanften Kommunikation mit dem Pferd darstellen. Im Unterschied zu anderen Trainingskonzepten, werden dem Pferd hierbei keine Aufgaben oder Befehle erteilt, die Autoren stellen Fragen und das Pferd antwortet entsprechend mit einer Reaktion. Ziel ist es, mit einer sanften Drucksteigerung beim Fragestellen, dem Pferd die Tür zu öffnen, die richtige Antwort zu geben. Anschließend wird der Druck sofort fallen gelassen und das Pferd bekommt die verdiente Pause als Belohnung. Diese Vorgehensweise zieht sich durch das gesamte Übungsmaterial. Dabei kann die Frage entweder mit direktem oder mit indirektem Gefühl erfolgen. Als besonders wichtig gilt der eigene Fokus und die Gedanken beim Fragestellen. Für mich persönlich der schwierigste Teil, denn die eigenen Gedanken und Emotionen zu steuern, ist eine große Herausforderung. Die Autoren liefern in diesem Kapitel anschließend eine sehr wichtige Übung, die allerhand Probleme im alltäglichen Umgang lösen kann. Das Konzept “Du bist nicht gemeint”, angelehnt an Pat Parellis Friendly Game, soll dem Pferd glaubhaft vermitteln, dass in bestimmten Situationen keine Reaktion gefordert ist. Diese Übung lässt sich, so die Autoren, bei nahezu allem einsetzen, womit Pferde Probleme haben könnten: Berührungen, Gegenstände, Stillstehen, Angstreaktionen etc. Ich selbst kann an dieser Stelle nur zustimmen. Mein Pferd lies sich in der letzten Zeit zunehmend schlechter am Kopf berühren. Mit der vorgestellten Übung konnte ich ihn binnen weniger Minuten wieder den Schopf kämmen, ganz ohne Gezerre und Gegenwehr. Er hat begriffen, dass keine Reaktion nötig ist und dass er sofort wieder in Ruhe gelassen wird, wenn ich fertig bin.

Das Nächste Kapitel umfasst das Thema Sicherheit. Die dort vorgestellten Übungen regeln eine gewisse Grundordnung zwischen Mensch und Pferd, gemäß dem Motto “wer bewegt wen?”. Es wird zunächst die Private Zone vorgestellt, die einen gewissen Raum zwischen Pferd und Mensch schafft. Anschließend erklären die Autoren, wie die Hinterhand gezielt beeinflusst werden kann, um damit auch in Notsituationen effektiv handeln zu können, ohne dem Pferd am Kopf zu zerren. Das hat zwei Vorteile, einerseits verbindet das Pferd den Menschen nicht direkt mit Schmerz, der über das Knotenhalfter entsteht, wenn es seinem natürlichen Fluchtinstinkt folgen will. Andererseits hat man in den meisten Fällen kaum eine Chance ein Pferd mit reiner Körperkraft zu halten – das Herumschicken der Hinterhand ermöglicht so, ohne Krafteinwirkung das Pferd effektiv zu händeln. Auch diese Übung konnte ich bereits erfolgreich ausprobieren und kann berichten, dass auch in kurzen Fluchtreaktionen aufgrund eines Schreckmomentes das Herumschicken der Hinterhand schnell für eine Entspannung der Situation gesorgt hat. Auch bei mir persönlich half diese Übung, noch viel ruhiger zu bleiben und mich nicht von der Reaktion meines Pferdes anstecken zu lassen. Binnen weniger Minuten konnten wir entspannt weiter gehen.

“Das große Ziel bei allem ist schließlich Partnerschaft und keine Machtausübung.” (S.59)

Das folgende Kapitel betrachtet die Harmonie zwischen Mensch und Pferd genauer. Sich auf das Pferd einlassen, bedeutet verschiedene Informationen und Übungen, die uns selbst helfen sollen, unser Pferd besser zu verstehen. Reaktionen und Verhalten kann dadurch besser gedeutet werden und das Wichtigste anhand dieser Informationen gelingt es uns leichter die eigenen Emotionen zu kontrollieren und die eigene Grundeinstellung zu verändern. Dabei helfen sollen vor allem das “Einfangspiel” und die “Spiegelübung”, zwei sehr kreative Möglichkeiten sich noch besser in die Welt der Pferde einzudenken.

In den folgenden Kapiteln verlassen wir nun die Grundlagen und näheren uns der aktiven Bodenarbeit nach dem NHS Prinzip. Auf den nachfolgenden Seiten werden unzählige Übungen mit und schließlich auch ohne Halfter und Strick vorgestellt. Dabei gibt es die gewöhnten Schritt für Schritt Anleitungen, sowie umfangreiches Videomaterial, dass einen guten Einstieg in die NHS Praxis gewährleisten soll. Vorgestellt werden unter anderem das Zirkelprinzip, das Zielspiel, die Acht, der Slalom, Engpass, Parcours und viele mehr. Das Ergebnis stellt eine sehr feine Kommunikation mit nur wenigen Signalen, die dem Pferd helfen alle Aufgaben zu meistern. Ein besonderer Pluspunkt, die Autoren gehen auch auf mögliche Probleme bei der Umsetzung ein und erläutern genau, wie man zu Reagieren hat. Was ich persönlich besonders gut finde, an einigen Stellen wird dazu geraten, sich bei Überreaktionen seitens des Pferdes professionelle Unterstützung zu holen. Diesen Hinweis finde ich besonders wichtig, denn jedes Pferd ist anders und daher, so auch die Autoren, können die Reaktionen auf bestimmte Übungen verschieden ausfallen. Ein professioneller NHS Trainer kann mit geschultem Blick und Pferdeverstand so manche Situation besser einschätzen und auf sanfte Art und Weise regeln.

Mein Fazit zum Buch: Jenny Wild und Peer Claßen haben mit ihrem “Übungsbuch Natural Horsemanship” eine wundervolle Einführung in die Welt des NHS geschaffen. Das Buch eignet sich sowohl für Anfänger, als auch für Fortgeschrittene. Das Umfangreiche Sammelsurium der verschiedenen Übungen bietet viel Inspiration für die Bodenarbeit, aber auch für den alltäglichen Umgang mit dem Pferd. Sehr schön ist auch der Umgangston, welcher im Buch ausführlich vermittelt mit (z.B. Fragen stellen, anstatt befehlen). Mir persönlich gefällt auch die Einführung in das grundlegende Verständnis der Pferde – das sich Hineinversetzen hilft in schwierigen Situationen nicht emotional zu werden. Eine klare Kaufempfehlung!

Ein kleiner Tipp von mir, das zweite Buch von Jenny Wild: “Von Pferden lernen, sich selbst zu verstehen: Durch Selbsterkenntnis zum Pferdeverständnis” ist eine wundervolle Ergänzung zum Übungsbuch. Viele Aspekte werden nochmal ausführlicher erklärt, vor allem die Emotionalen Komponenten und die natürlichen Verhaltensweisen des Pferdes. Eine Rezension folgt 😉

Infos zum Buch
Originaltitel:Übungsbuch Natural Horsemanship
Autoren:Jenny Wild & Peer Claßen
Verlag: Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co KG
Ort: Stuttgart
Jahr:2015
ISBN: 978-3-440-14073-4